Buchbesprechungen

Stephen Quirke: The Cult of Ra. Sun Worship in Ancient Egypt. New York 2001. Thames & Hudson.

ISBN 0-500-05107-0

"Der Kult des Re" - wer bei diesem ganz frisch erschienenen Titel nicht sofort hellhörig wird, kann vom Alten Ägypten noch nicht infiziert sein. Der Kult des Re ist eines der wesentlichen Merkmale der altägyptischen Kultur, der Staat und Religion bestimmt. Dieses Thema wurde noch nie in einer Monographie behandelt und so waren die Erwartungen entsprechend hoch. Thames & Hudson hat sich in den letzten Jahren zu einer Art Standard für populärwissenschaftliche Bücher aus dem Bereich der Altertumswissenschaften erhoben. Freud und Leid lagen oft nah beieinander, und so ist es auch hier.

Das Buch beginnt mit einer recht allgemein gehaltenen Einführung über Namen, Chronologie und einige Probleme, die sich aus heutiger Sicht für die Bewertung ägyptischer Altertümer ergeben. Nicht alles hat hier wirklich mit dem Thema des Buches zu schaffen, jedoch sind darunter wirklich bemerkenswerte Einschätzungen zu finden. Warum Quirke dabei allerdings den völlig veralteten und ganz unangebrachten Terminus "Bronzezeit" verwendet, wird nicht klar - auch wenn das in der britischen Literatur ein eher häufiges Phänomen ist. Noch in der Einführung führt die Besprechung des ägyptischen Königtums direkt zum Thema über. Und so ist Quirkes Aufarbeitung des Themas breit angelegt und deckt über die insgesamt 5 Kapitel die Bereiche (stichwortartig aufgezählt) Mythen, Skarabäen, Benu-Vogel, Re in den Unterweltsbüchern und Himmelsbücher des NR, Neunheit, Re und die Zeiteinteilung (wiederum hauptsächlich auf Basis der Unterweltsücher, des Hatschepsuttempels, etc.), Heliopolis und dessen Altertümer mit allem (samt Besprechung der Quarzitbrüche!), kultgeographische Ausrichtung der Pyramidenbezirke mit Heliopolis (z.B. Giza-Diagonale), Tempel von Heliopolis, Architekturmodelle, Hathortempel in Heliopolis, Hoherpriester des Re, Ished-Baum, Mnevis-Stier, Gräber und Zerstörung von Heliopolis, Pyramiden und Obelisken mit Besprechung von benben, benbenet, Königsgräber vor den Pyramiden, Totenschiffe, Sphinx, Sonnenheiligtümer, Pyramidentexte, Pyramiden des MR und schließlich ein Kapitel - wahrscheinlich unvermeidlich - über Echnaton. Ein Epilog "After Akhenaten" beendet den Band.

Begeisterung darf sich breit machen - das schwierige Thema ist eigentlich gemeistert! Diese Breite des Materials hätte der Rezensent nie erwartet. Überall werden die Basics und auch oft genug mehr pärziese dargestellt. Gerade weil dieses Thema keine aktuelle wissenschaftliche Aufbereitung kennt, würde man sich aber auch in einem populärwissenschaftlichen Buch gern den einen oder anderen Quellennachweis wünschen. Quirke spult sein Programm manchmal leider ab, als gäbe es weder andere Literatur noch andere Meinungen zu diesen Themen. Auf S. 115 bietet er z.B. seinen Lesern die wirklich sensationelle Übersetzung "the (stone) of the benben" für das ägyptische benbenet an. Da hätte man sich schon gewünscht wie er da drauf kommt - per Begründung oder Literaturhinweis. Ähnlich verhält es sich gleich unmittelbar danach, wenn Quirke auf den zwischenzeitlich allgemein bekannten Aufsatz über die stellaren Bezüge der Pyramiden von Kate Spence zurückgreift. Dieser basiert auf mehreren sachlichen Fehlern und wird hier als Basis dafür angeführt, daß die Pyramiden nicht nur solare sondern auch stellare Bezüge aufweisen - als wenn das im Prinzip neu wäre?! Das hätte man auch über die Pyramidentexte leicht herleiten können. Auch die folgende Darstellung über die Pyramidennamen überzeugt doch reichlich. So bleibt die wirklich abstruse Feststellung, daß die sog. Modellkorridore der Cheopspyramide auf Sterne ausgerichtet sein sollen (noch abstruser ist es, daß dieser Unsinn in einem solchen Buch landet). Die notwendige Diskussion und Argumentation - dafür hätte es auch in der ägyptologischen Literatur reichlich kontra gegeben - fehlt völlig. Und so ist die Freude über die Breite das Leid über die Tiefe, besonders im Bereich der Argumentation. Welche Tiefe allein das Thema Heliopolis bilden kann, zeigt ein Blick in die ebenfalls recht neue Arbeit Dietrich Raues über "Heliopolis und das Haus des Re". Wir haben es also nicht mit einem Mangel an Material zu tun, sondern mit einer ganz sinnlosen Beschränkung auf 184 Seiten, in die auch bereits der Index und die Bibliographie fällt, die - ähnlich wie in Büchern Erik Hornungs - Themenüberblicke gibt (trotzdem sehr hilfreich). Dafür sind 64,-DM einfach viel zu viel! Daran ändern auch der stabile Einband und die 97 Illustrationen nichts, die überwiegend aus Strichzeichnungen und ein paar s/w-Fotos bestehen. Damit haben wir das Thames&Hudson-Drama erneut auf dem Tisch. Ein brillianter Autor, ein bedeutendes Thema und mindestens 50% Potential (und Material) verschenkt. Da helfen auch keine Ausreden mehr über die Grenzen der Populärwissenschaft - die kann man bei 184 Seiten einfach nicht erreichen! Wenn man sich das Stichwortverzeichnis oben über den Inhalt ansieht und weiß, daß sich dieses Material auf max. 160 Seiten ausbreiten darf, weiß man schnell wo das Problem liegt. All das wäre nicht halb so ärgerlich, wenn das Buch nicht wirklich so gut wäre, deshalb wieder und trotz allem: eine Empfehlung!

Stephen Quirke ist Kurator am Petrie Museum of Egyptian Archaeology, University College London, und hat sich auf das Mittlere Reich spezialisiert. Neben einer ganzen Reihe wissenschaftlicher Aufsätze dazu und dem Standardwerk "The Administration of Egypt in the Late Middle Kingdom" hat er bereits die populärwissenschaftlichen Bücher "Who Were The Pharaos?", "Ancient Egyptian Religion" und "Hieroglyphs and the Afterlife" veröffentlicht. Zusammen mit Jeffrey Spencer erschien "The British Museum Book of Ancient Egypt".

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