Die Große Pyramide

des Königs Cheops in Giza

Nivellement und Grundmaße der Cheopspyramide

Die Ausmaße der Pyramide müssen - wie gesagt - bei der Abarbeitung des Felskerns bereits festgestanden haben. Die Genauigkeit, mit der das Plateau nivelliert und die Pyramide eingemessen wurde, hat lange schon für höchste Verwunderung gesorgt. Zu Petries Zeiten waren solche Messungen nur indirekt möglich, da an den Seiten der Pyramide noch hoch der Schutt anstand [ 1 ]. Erst ein gemeinschaftliches Unternehmen des deutschen Instituts in Kairo unter der Leitung von Ludwig Borchardt und Uvo Hölscher zusammen mit der ägyptischen Landvermessung unter Leitung von J.H. Cole ermöglichte die Freilegung der Seiten und die Ermittlung der Ritzungen auf dem Pflaster, auf dem die Verkleidungssteine einst aufsaßen [ 2 ]. Aus diesen Ritzungen und den wenigen Verkleidungsresten konnte 1925 erstmals der exakte Verlauf von drei Seiten bestimmt werden.

I. Nordseite

An der Nordseite steht noch heute die Verkleidung auf einer Länge von etwa 20 m an. Davon sind 11 m sicher in situ [ 3 ]. Über insgesamt 55 m konnte Borchardt die Ritzung im Pflaster verfolgen [ 4 ]. Ebenfalls gefunden wurden dabei die Fugenmarken, an denen jeweils zwei Blöcke zusammenstanden [ 5 ]. Unter dem östlichsten Verkleidungsblock befand sich eine Ritzung - sie ist heute nicht mehr zu sehen [ 6 ] - die über die Nordkante hinaus reichte. Nachmessungen hatten ergeben, daß es sich dabei um die in das Pflaster geritzte Nord-Süd-Achse der Pyramide handelte [ 7 ]! Die Ritzung befand sich 115,090 m von der Nordwestecke und 115,161 m von der Nordostecke entfernt [ 8 ].

Reste der Verkleidung an der Nordseite der Pyramide.

II.Ostseite

Schwieriger war die Lage an der mehr zerstörten Ostseite der Pyramide. Hier stand zudem der Schutt bis 4 m hoch an [ 9 ]. Da an den massiv gestörten Ecken keine Hoffnung auf Pflasterreste bestand, zog Borchardt einen 29 m langen Graben in der Mitte der Ostseite (89 bis 118 m von der Nordostecke) und einen weiteren 5 m langen, etwa 140 bis 145 m von der Nordostecke aus. Die Ritzung war in allen Teilen durchgehend zu sehen. Die äußersten gefundenen Punkte lagen 56 m auseinander - ausreichend für eine exakte Bestimmung.

III. Südseite

Auch an der Südseite waren die Beschädigungen stark. Der Schutt stand teilweise 5 bis 6 m hoch an. Fünf Gräben brachten nicht einen einzigen Rest der Ritzung hervor, da das Pflaster entweder ganz fehlte oder abgeschlagen war [ 10 ]. Dafür fanden sich in einem Graben, der sich 136 bis 163 m von der Südostecke aus befand, Verkleidungssteine auf einer Länge von 26 m in situ. Die Böschungsfläche war auf einem 0,15 bis 0,75 m breiten Stück erhalten. Auf dieser fanden sich Besucherinschriften, von denen die älteste aus der Zeit Psammetichs stammt! Die Länge wurde aufgrund des kurzen Abschnitts rechnerisch ermittelt [ 11 ].

IV. Westseite

An der Westseite stand der Schutt bis 3 m hoch an [ 12 ]. Die Ritzung konnte einwandfrei in drei der vier von Borchardt gezogenen Gräben gefunden werden, nämlich 100 bis 108, 117 bis 120 und 125 bis 137 m von der konstruierten Südwestecke aus. Die Richtungsbestimmung konnte damit über eine Länge von 37 m zweifelsfrei bestimmt werden. Im Bereich der beiden äußeren Gräben fanden sich zudem erhebliche Reste der untersten und sogar der darüberliegenden Verkleidungschicht. Eine Böschungsbestimmung ist hier wegen der starken Verwitterung durch den angetriebenen Wüstensand nicht möglich gewesen.

Reste der meist rekonstruierten Verkleidung an der Westseite der Pyramide.

Die aus diesen Begebenheiten gewonnenen Daten der Seitenlängen sind [ 13 ]:

Nordseite230,253 m
Ostseite230,391 m
Südseite230,454 m
Westseite230,357 m

Die Richtungen der Grundkanten sind [ 14 ]:

Nordkante0o2'28" südlich vom wahren Westen
Ostkante0o5'30" westlich vom wahren Norden
Südkante0o1'57" südlich vom wahren Westen
Westkante0o2'30" westlich vom wahren Norden

Die Winkel der Ecken betragen [ 15 ]:

NW-Ecke89o59'58"
NO-Ecke90o3'2"
SO-Ecke89o56'27"
SW-Ecke90o0'33"

Die Fehler der rechten Winkel an den Ecken betragen [ 16 ]:

NW-Ecke0'2"
NO-Ecke3'2"
SO-Ecke3'33"
SW-Ecke0'33"

Aufgrund dieser Messungen konnte Borchardt die Länge der beim Bau der Cheopspyramide verwendeten Elle auf durchschnittlich 0,52355 m bestimmen, aus denen sich eine Seitenlänge von 440 Ellen ergibt [ 17 ]. Erstaunlich ist die Genauigkeit des Nivellements, das Cole in Zehntelmillimeter abgelesen hat [ 18 ]. Dabei ist der maximale Höhenunterschied der Böden der Eckpfannen 0,479 m [ 19 ]! Die Höhe des Plateaus an den Kanten unter dem Pflaster weist einen maximalen Höhenunterschied von 0,061 m auf [ 20 ]. Wirklich erstaunlich ist aber vielmehr der maximale Niveauunterschied der Oberkante des Pflasters, der mit 0,021 m bestimmt werden konnte! Der maximale Höhenunterschied der Oberlager der untersten Verkleidungsschicht beträgt 0,032 m.

Borchardts, Hölschers und Coles Arbeiten sind mit höchster Genauigkeit und praktisch modernen Instrumenten durchgeführt. Die Ergebnisse habe ich hier deshalb und auch aus archäologischer Sicht fast vollständig wiedergegeben. Trotzdem kamen Josef Dorner Zweifel, die u.a. durch den Längenunterschied von 20 cm zwischen Nord- und Südkante begründet sind. Dorner vermutete eine Ungenauigkeit in der Ostflucht, was sich auf die Längen der Nord- und Südkanten auswirken mußte [ 21 ]. Die neuen Messungen waren freilich auch dadurch begünstigt, daß heute alle vier Seiten der Pyramide völlig frei liegen. Dorner hat daneben praktisch dieselben Ritzungen und Verkleidungsreste verwendet wie damals Cole [ 22 ]. Bei dieser erneuten Vermessung von 1979 ergab sich für die rechten Winkel der Ecken [ 23 ]:

NO-Ecke90o00'58"
SO-Ecke89o59'41"
SW-Ecke90o00'16"
NW-Ecke89o59'05"

Die Kantenlängen und Richtungen betragen [ 24 ]:

KanteLängeRichtungAbweichung
Nordkante230,328 m89o57'32"-2'28"
Ostkante230,369 m359o56'34"-3'26"
Südkante230,372 m89o57'29"-2'31"
Westkante230,372 m359o57'13"-2'47"

Dies ergibt ein Mittel der Seitenlänge von 230,36 m, von dem die Länge der Nordkante die größte Abweichung mit 3,2 cm aufweist [ 25 ]. Die Genauigkeit, mit der diese Längen, Richtungen und Winkel bestimmt und das Nivellement durchgeführt wurden, haben zahlreiche waghalsige Theorien hervorgebracht. Die weit ausführlichste und beste Beschreibung inkl. eigener Nachprüfung durch Experiment und Berücksichtigung altägyptischer Meßinstrumente und Überlieferungen hat Josef Dorner ausgeführt [ 26 ]. Obwohl die Cheopspyramide neben der Roten Pyramide und der Chephrenpyramide die exakteste Arbeit aufweist, kann hier wegen der immensen Fülle des zu erörternden Materials nicht weiter darauf eingegangen werden [ 27 ].

Die Höhe der Cheopspyramide ist durch das Fehlen der Spitze nur noch indirekt und theoretisch zu bestimmen. Dafür kommt neben der Messung an den in situ befindlichen Verkleidungssteinen die altägyptische Methode der Neigungsbestimmung zum Zuge. Vermessen hat den Neigungswinkel erstmals - und soweit das möglich war zuverlässig - Petrie [ 28 ]:

Nordseite Verkleidungssteine51o46'45"+/- 2'7"
Nordseite Verkleidungssteine51o49'+/- 1'
Nordseite Verkleidungssteine51o44'11"+/- 23"
Nordseite Verkleidungssteine51o52'+/- 2'
Alle Seiten (Mittel aus 18 Fragmenten)51o53'+/- 4'
Nordseite Eingang51o53'20"+/- 1'
Nordseite Öffnung des Modellkorridors51o51'30"+/- 20"
Nordseite Mittelwert51o50'40"+/- 1'5"
Südseite Öffnung des Modellkorridors51o57'30"+/- 20"

51o50'40" +/- 1'5" als Mittelwert für alle Seiten der Pyramide ist der allgemein übernommene Wert für den Neigungswinkel der Seitenflächen [ 29 ]. Daraus ergibt sich nach der wahrscheinlichsten altägyptischen Methode 51o50'35", was 5 1/2 Handbreiten Rücksprung auf 1 Elle Steigung entspricht und was schließlich zu einer ursprünglichen Höhe der Pyramide von 146,5 m oder 280 Ellen führt [ 30 ]. Es sei nochmals daran erinnert, daß dieser Wert theoretisch gewonnen wurde! Bereits Borchardt [ 31 ] hat festgestellt, daß die Abweichungen in Petries Messungen enorm sind. Er spricht dann von "schlechten Werten". Es ist eher wahrscheinlich, daß diese Werte auf eine Beobachtung zurückzuführen sind, die ebenfalls bereits von Petrie gemacht wurde, nämlich daß die Seitenflächen der Pyramide konkav sind; an der Nordseite ergibt sich dadurch eine Tiefe von 94 cm [ 32 ]. Die zwei Ebenen des Kernmauerwerks stehen in einem Winkel von 27' zueinander [ 33 ]. Daraus und anhand eines Fotos aus der Zeit Petries [ 34 ] läßt sich mit Bestimmtheit schliessen, daß die Konkavität im Kernmauerwerk ein geplantes Phänomen war. Dieses Luftbild, das zum denkbar günstigsten Moment aufgenommen wurde, nämlich als die Sonne genau eine Hälfte in Schatten warf, zeigt die schnurgerade Linie, durch die beide Hälften der Ostseite getrennt werden. Eine solche Linie wäre nicht entstanden, würde die Konkavität der Seiten auf einen Zufall z.B. beim Abreißen der Verkleidungsteine zurückzuführen sein. Während Petrie davon ausging, daß sich dieses Phänomen allein auf das Kernmauerwerk beschränkt, halten Maragioglio & Rinaldi sowie Stadelmann eine andere Erklärung für wahrscheinlicher [ 35 ]. Danach könnte es sich - wie schon bei der Roten Pyramide - um eine ästhetische oder technisch sinnvolle Lösung gegen das Abrutschen der Seitenflächen handeln. Lauer ist der Auffassung, daß sich die Konkavität nicht auf die Verkleidung ausgedehnt hat [ 36 ]. Als Begründung führt er die gerade Linie an, die von der Basis an der Ostseite gebildet wird. Allerdings erklären sich damit nicht die unterschiedlichen Winkel, die Petrie an der Verkleidung gemessen hat, und die ebenfalls an der Roten Pyramide aufgefallen sind! Fest steht, daß die Konkavität in den unteren Lagen des Kernmauerwerks nicht wahrnehmbar ist und die Verkleidung in einer schnurgerade Linie verlegt wurde. Die wahrscheinlichste Erklärung aus diesem Befund scheint zu sein, daß die Konkavität der Verkleidung ursprünglich auf die Mitte der Seitenflächen begrenzt war. Die Zunahme der Konkavität des Kernmauerwerks in den Zentren der Seitenflächen wurde schon von Maragioglio & Rinaldi hervorgehoben [ 37 ]. Da die Verkleidung auf Backing Stones sitzt, ist auch eine technische Notwendigkeit nicht so sehr wahrscheinlich, da ein Abrutschen der Seitenflächen bereits duch diese verhindert wird.

Anmerkungen

[ 1 ]Die Geschichte der Vermessungen an der Cheopspyramide ist erläutert bei Dorner, Absteckung und Orientierung, S. 62-73.
[ 2 ] Borchardt, Längen und Richtungen, S. 1-2; Cole, Survey of Egypt, beschreibt lediglich die angewandten Methoden (nach Borchardt).
[ 3 ] Borchardt, op.cit., S. 2.
[ 4 ] ibd., S. 3.
[ 5 ] ibd., S. 3. T. 3.
[ 6 ] vgl. Dorner, op.cit., S. 74.
[ 7 ] Borchardt, op.cit., S. 3. Eine solche Achsen-Ritzung ist auch an der Pyramide des Neussere in Abusir nachgewiesen, vgl. Borchardt, Ne-user-re, S. 151f.
[ 8 ] MR IV, p. 18.; Borchardt, Längen und Richtungen, S. 8.
[ 9 ] ibd., S. 4.
[ 10 ] ibd., S. 4.
[ 11 ] ibd., S. 4-5.
[ 12 ] ibd., S. 5.
[ 13 ] ibd., S. 7.
[ 14 ] ibd., S. 8.
[ 15 ] ibd., S. 8.
[ 16 ] ibd., S. 9.
[ 17 ] ibd., S. 8.
[ 18 ] ibd., S. 6 m. Anm. 1.
[ 19 ] ibd., S. 7.
[ 20 ] Punkte im Gefälle des Hofplasters sind dabei nicht berücksichtigt, ibd., S. 7, Anm. 1.
[ 21 ] Dorner, op.cit., S. 72-74.
[ 22 ] ibd., S. 74-75.
[ 23 ] ibd., S. 76.
[ 24 ] ibd., S. 77.
[ 25 ] ibd., S. 77.
[ 26 ] ibd., S. 87-151.
[ 27 ] eine aktuelle Besprechung des Phänomens jetzt bei Magdolen, On the orientation of the Old Kingdom Royal Tombs.
[ 28 ] Petrie, Pyramids, p. 12f.
[ 29 ] MR IV, p. 18.
[ 30 ] Borchardt, Zahlenmystik, S. 21; Lauer, Pyramiden, S. 270ff., 330; MR IV, p. 18.
[ 31 ] Borchardt, op.cit., S. 20.
[ 32 ] MR IV, p. 16. Tatsächlich wird die Konkavität bereits auf einem Kupferstich aus Napoleons Zeiten wiedergegeben, vgl. Tompkins, Cheops, S. 113.
[ 33 ] Lauer, op.cit., S. 221.
[ 34 ] Tompkins, op.cit., S. 113, 117, Abb. 56.
[ 35 ] MR IV, p.16, 104, Obs. 4; Stadelmann, Giza, 116-117.
[ 36 ] Lauer, op.cit.
[ 37 ] MR IV, 16.

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