Buchbesprechungen

Willeitner, Joachim: Die ägyptischen Oasen. Städte, Tempel und Gräber in der Libyschen Wüste. Mainz 2003. Philipp von Zabern.

ISBN 0-19280293-3

Von der fundamentalen Bedeutung der Oasen für das Reich der Pharaonen ist in der Literatur praktisch kaum etwas wahrnehmbar. Selbst eine gut bestückte Bibliothek ist in Fragen zu den ägyptischen Oasen eher ein Schwarzes Loch, und selbst langjährige Ägyptenreisende kennen die Oasen meist nur aus den Büchern (den Schreiber dieser Zeilen eingeschlossen). Und selbst heute, da in den Oasen weit mehr und weit bedeutendere Funde und Entdeckungen gemacht werden als im archäologisch gut erforschten Niltal (das Delta ausgenommen) verschonen uns die archäologischen Nachrichten konsequent damit. Die Erforschung der frühesten Geschichte Ägyptens spielt sich zu einem großen Teil dort ab und selbst die noch recht neue Endeckung einer Karawanenraststätte der Pyramidenbauer der 4. Dynastie nahe Dachla hat kein weiteres Interesse für diesen wesentlichen Teil ägyptischer Kulturlandschaft generiert. Das Buch des Ägyptologen und Dauerreisenden am Nil, Joachim Willeitner, kompensiert diesen Mangel bravorös!

Den einzigen Vorwurf, den man diesem Buch machen kann ist, daß es zu spät kommt! Und das liegt nicht einmal so sehr daran, daß der Wissensdurst des Rezensenten plötzlich Überhand genommen hätte - einstweilen würde mit der veralteten und kaum vergleichbaren Pionierarbeit Ahmed Fakhrys "The Oases of Egypt" noch ein Ersatz zur Verfügung stehen. Viel schwerwiegender wiegen die Anmerkungen Willeitners im Vorwort. Aufnahmen in diesem Buch, so Willeitner, die erst vor wenigen Jahren in den Oasen gemacht wurden, dienen bereits als "historisches Dokument", denn anders als die Masse der an Archäologie Interessierten haben die modernen Grabräuber viel schneller erkannt welch Schatz die ägyptischen Oasen wirklich sind. Angesichts der katastrophalen Politik der Altertümerverwaltung, die viel Aufwand mit neuen und sinnlosen Fotographie-Verboten in ohnehin kahlen Pyramiden betreibt und den größten Teil der archäologischen Stätten sich selbst überläßt, kommt so eine Mahnung zur rechten Zeit. Man kann nur hoffen, daß sich die Altertümerverwaltung nächstens um die Altertümer und weniger um Spinner und sinnlose Bohrungen in Pyramiden kümmert!

Willeitner bespricht nach einer ausführlichen historischen Einleitung mit Extrateil über die besondere Götterwelt die Oasen Charga, Dachla, Farafra, El-Haiz und Bahriya, Wadi Natrun und die berühmteste unter ihnen: Siwa. Das Fayum, per Definition eine Oase, wird nicht erläutert. Willeitner erklärt, daß die alten Ägypter das Fayum nicht als Oase betrachtet haben und die Anbindung des Fayums über den Bahr Jussuf an den Nil aus dem Fayum keine Oase macht. Indes dürfte der Hauptgrund sein, daß das kulturell außerordentlich reiche Fayum nicht in der gegebenen Form zu behandeln gewesen wäre und ein eigenes umfangreiches Buch verlangen würde - auf das man ja vielleicht noch hoffen darf. Das zeitliche Spektrum reicht jeweils von der ältesten Geschichte bis in frühchristliche Zeit. Das Buch hat "nur" 155 Seiten, wenn auch im Großformat. Der dreispaltige Satz sorgt trotzdem für reichlichen und ausführlichen Text, der allgemein verständlich gehalten ist, und der den Leser zweifellos nicht nur mit vielen neuen Informationen, sondern sogar mit "neuen" Oasen versorgt. Dem Rezensenten jedenfalls war eine Oase Al'Areg bis dato jedenfalls völlig unbekannt. Als eigentliches Highlight dieses Buches wird man darüberhinaus das Bildmaterial werten müssen, das zahlreich und von allerbester Qualität, bisweilen von beklemmender Schönheit ist - von Farbfotos bis zu den Grundrissen der Tempel ist praktisch alles vorhanden (130 Farb-, 9 SW- und 46 Strichabbildungen). Damit wäre der Sache sicherlich genüge getan. Doch dieses Buch zeichnet sich noch durch einen ganz besonderen Umstand aus: der allgemein verständliche Text wird nämlich durch Fußnoten begleitet, die den interessierten Leser direkt zur ausführlich am Ende des Bandes aufgeführten Fachliteratur führen. Obschon das an sich eine Selbstverständlichkeit ist, verzichtet man in Popularia doch zunehmend darauf. Damit hat man für einen günstigen Preis, nämlich 41 Euro, einen Bildband, reichlich Text und umfassendes Quellenwerk. Zusammen mit der Brisanz des Themas und dem ausgesprochenen Mangel an Alternativen: höchste Empfehlung!

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