Buchbesprechungen

Margaret S. Drower: Flinders Petrie - A Life in Archaeology. Wisconsin, (1985), 1995. The University of Wisconsin Press.

ISBN 0-299-14624-3

Die moderne Ägyptologie ruht auf Fundamenten, die im Jahrhundert Champollions mehr als nur Maßstäbe gesetzt haben. Viele Namen wären hier zu nennen und viele herausragende Leistungen wären anzuführen, wenn man von den Pionieren der Ägyptologie spricht. Während die einen sich der Sprache gewidmet haben oder auf langen Expeditionen mit spartanischen Mitteln und oft unter Einsatz ihres Lebens mit dem Abzeichnen und Abklatschen von Reliefs und Inschriften die Fundamente für die Forschung in Europa legten, kam - man möchte fast sagen: aus dem Nichts - eine Legende namens William Matthew Flinders Petrie (1853-1942).

Es wäre nicht möglich, hier die ganzen Leistungen Petries auch nur aufzuzählen, von ihrer Bedeutung ganz zu schweigen. Dafür ist eben gerade dieses Buch gedacht. Daß er aber den Titel eines "Vaters der Ägyptologie", oder "Vaters der modernen Archäologie" trägt, hat freilich seinen Grund. Die bekanntesten Verdienste Petries sind sicher seine akribischen Methoden, mit denen er zu Werke ging. Petrie hat nicht einfach nur gegraben, um die Museen Europas zu füllen, wie das in seiner Zeit eigentlich noch üblich war. Petrie hat seine Ergebnisse in allen Details ausgeführt und publiziert. Seine prompten Veröffentlichungen und die dazugehörige Zuverlässigkeit entsprechen fast noch modernen Standards. Petrie kümmerte sich auch nicht nur um die prachtvollen Stücke seiner Ausgrabungen, sondern fertige erstmals anhand der Keramik, die von den Kollegen seiner Zeit noch achtlos weggeworfen wurde, ein System zur Datierung an, die sog. "Sequenz-Datierung", die erst 1957 von Werner Kaiser geringfügig verbessert wurde und ansonsten bis heute gültig ist. Unter dieser Prämisse, die der Archäologie erstmals wissenschaftliche Maßstäbe verlieh, veröffentlichte Petrie mehr als hundert Bücher und mehr als tausend Aufsätze.

Eine Aufzählung der Orte, an denen Petrie gegraben hat, würde den Rahmen dieser kurzen Besprechung sprengen. Bereits in jungen Jahren hatte er Stonehenge erstmals zuverläsig vermessen. Sein Weg nach Ägypten führte ihn zunächst zu den Pyramiden von Giza. Die Vermessungen, die er dort vornahm, widerlegten die Thesen Smyths über einen göttlichen Plan. 1884 ging er für den neu gegründeten Egypt Exploration Fund nach Tanis. Er entdeckte das alte Naukratis und grub praktisch alle relevanten Stätten des Fayums aus. 1890 führte ihn sein Weg erstmals nach Palästina. Zurück in Ägypten arbeitete er in Meydum und in Amarna. 1892 wurde Petrie als Professor auf den Edwards Chair des University College in London berufen. Aus dem Kreis seiner Studenten erwuchs später noch so manche ägyptologische Persönlichkeit. 1893 zurück in Ägypten führte er seine Tätigkeiten in Koptos fort. Die dort von ihm ausgebildeten Arbeiter, später die Kuftis genannt, galten als die besten Spezialisten in Ägypten und wurden in ganz Ägypten eingesetzt. Wenn Sie heute irgendwo in Ägypten auf eine laufende Grabung stoßen, ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Aufseher ein Kufti ist, nicht gering. In Negade traf Petrie erstmals auf das prädynastische Ägypten. Aus den dortigen Funden erwuchs die Sequenz-Datierung, die er in Amratien und Gerzean aufteilte. In Theben-West studierte er die Totentempel des Neuen Reiches, besonders das Ramesseum.

Petrie heiratete 1896. Seine Frau Hilda wurde für die nächsten 40 Jahre ein fester Bestandteil seiner archäologischen Tätigkeit. Hilda übernahm praktisch alle Arbeiten, inklusive der Verarztung der Arbeiter. Spätestens jetzt war auch der "Petrie Dig" eine Legende: das spartanische Leben im Camp. Petries Wege führten weiter nach Abydos, Giza, Rifa, zurück nach Meydum, Tarchan, Hawara und Memphis. Den ersten Weltkrieg verbrachte er in London mit dem Aufbau seines Museums, des Petrie Museums, und mit der Erstellung der Kataloge, die noch heute verwendet werden. 1920 kehrte Petrie nach Ägypten zurück und fand schwierige Bedingungen vor. Die übliche Teilung der Funde zwischen Ägypten und dem Ausgräber war erheblich eingeschränkt, sodaß von seiten der Museen keine Unterstützung mehr folgte. Er grub in dieser Zeit in Ghurob, Abydos, Qau und Badari. 1926 wechselte Petrie frustriert wieder nach Palästina, um die Grenzfestungen des Neuen Reiches auszugraben. Im Alter von 82 Jahren zog er sich vom Edwards Chair zurück und verlebte die letzten Jahre in Jerusalem, die in den 2. Weltkrieg fielen. Er verstarb dort 1942 und ist auf dem Berg Zion begraben.

Margaret Drower stellt in ihrem Buch diese Geschichte vor, und um es gleich vorweg zu sagen: dieses Buch ist selbst eine wissenschaftliche Arbeit! Es hat eine lange Geschichte, denn sie beginnt damit, daß Drower selbst in den 30ern eine Studentin Petries war. Knapp zehn Jahre nach Petries Tod wurde Hilda von einem Autoren populärer Bücher angesprochen, der eine Biographie über Flinders anfertigen wollte. Hilda händigte dem Autoren, dessen Name nicht genannt ist, eine große Menge an Material aus - Briefe, etc. Es wurden Interviews geführt, u.a. mit Petries frühen Weggefährten: Margaret Murray oder George Wainright. 1972 entschied er Autor, daß er die Biographie nicht mehr fertigstellen kann und gab das ganze Material an Flinders Tochter Ann zurück. Es fehlten aber die Interviews und auch sonst gab es keine Bemerkungen dazu. Doch Petries Weggefährten aus diesen frühen Tagen lebten selbst nicht mehr, als Margaret Drower diese Aufgabe angetragen wurde. Drower hat das Material aber anderweitig ersetzt. Neben Petries Autobiographie "Seventy Years in Archaeology" (1931) stützt sie ihre Recherchen auf die Petrie Papers, auf eine große Sammlung familiärer Korrespondez, auf Petries Tagebücher (die er von 1876 an geführt hat), auf die Tagebücher seines Vaters, auf die "Fieldnotes", die sich im Petrie Museum befinden. Desweiteren standen Drower bisher unveröffentlichte Aufnahmen zu Verfügung, die sich ebenfalls im Petrie Museum befinden. Weiterhin konnte sie zurückgreifen auf Petries "Journals", die bis auf tägliche Ereignisse genau sind. Drower hat schließlich neben einigen anderen handschriftlichen Quellen Weggefährten Petries interviewt, deren Aufzählung über eine Seite reicht. Darunter spielt Flinders Tochter Ann Petrie eine bedeutende Rolle, die intensiv an der Verwirklichung dieses Buches mitgearbeitet hat.

"A Life in Archaeology" ist nicht nur ein Buch, das über Flinders Entdeckungen berichtet. Freilich begleitet man ihn chronologisch durch sein ganzes Leben - und zwar wirklich: durch sein ganzes! Über das, was man gemeinhin auch in seinen Büchern nachlesen könnte, meint man nach der Lektüre aber geradezu, Flinders persönlich zu kennen. Man sieht den Menschen Flinders Petrie praktisch vor sich - kennt seine Schwächen und seine Stärken, kennt seine Freunde und seine Feinde, liest über sein alltägliches Leben am Grabungsort und seine faire Haltung gegenüber den ägyptischen Arbeitern, man erfährt von seinen unhaltbaren Thesen und davon, daß er sein Grabungshaus im Zweifelsfall auch selbst gebaut hat. Man lernt auch Flinders den Exzentriker kennen und weiß, was er während der Grabungssaison gegessen hat. Und nicht selten hat das Buch sehr persönliche Momente, z.B. in den Abbildungen. Am Ende des Buches sieht man Flinders im Hospital von Jerusalem auf dem Bett liegen. Die Bildunterschrift verweist auf Frühling/Sommer 1942 - sein Sterbebett! Nach seiner heftigen Malaria-Attacke, die ihn 1940 ins Hospital brachte, schrieb er selbst:

Und auch sonst sind die Bilder allein ein Erlebnis. Man trifft allenthalben auf Petrie und die Petries und auf Grabungsfotos ungewöhnlichen "Stils".

60,- ist ein völlig normaler Preis für ein Taschenbuch mit 500 Seiten und 118 Fotos und 8 Illustrationen im Text. Drower kann dem Leser garantieren, daß er nicht nur eine außergewöhnliche Biographie über eine der außergewöhnlichsten Gestalten der Ägyptologie und der ganzen Archäologie bekommt, sondern eine Begegnung mit Ägypten, die geradezu einzigartig ist. Zum Buch gehört auch eine Bibliographie seiner Bücher. Seine Aufsätze, so die Autorin, hätten keinen Platz mehr gehabt! Alle Stätten, an denen Petrie gegraben hat, sind ebenfalls aufgeführt. Im Anhang C findet sich ein sehr interessanter Brief Petries, der viel über Sir William Matthew Flinders Petrie selbst lehrt.

Margaret S. Drower war Reader in Ancient History am University College in London. Heute ist sie Honorary Research Fellow am Department of History and Egyptology. Als Fellow of the Society of Antiquaries war sie an zahlreichen BBC-Dokumentationen und Büchern über die Geschichte des Mittleren Ostens beteiligt.

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