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Kernbohrungen im Alten Ägypten V

Antike Kernbohrungen heute

Darstellung einer Bohrung eines Steingefäßes aus der 5. Dynastie, aus: Clarke & Engelbach, Ancient Egyptian Masonry, S. 203, Fig. 246.
Aus der Kernbohrungsfrage ist heute häufig eine Frage der Vorstellungskraft geworden (s.o.). "Wissenschaft-by-Vorstellungskraft", a la "ich kann mir aber nicht vorstellen daß..." ist kein guter Ratgeber und führt zu nichts. Versuche, Kernbohrungen nach der von der Ägyptologie favorisierten Technik herzustellen, wurden immerhin längst durchgeführt [ 1 ]. "Das kann kein Loch geben" [ 2 ] hängt davon ab, ob man längst absolvierte Versuche, die das Gegenteil beweisen, überhaupt zur Kenntniss nimmt [ 3 ]! Bevor wir uns diese Versuche näher ansehen, sei noch auf die Tatsache verwiesen, daß altägyptische Darstellungen, die zweifelsfrei den Vorgang einer Kernbohrung zeigen, weit weg sind von dem Bild, das manch alternativer Forscher heute zeichnen möchte. Hier haben wir z.B. das Glück, daß eine anschauliche Darstellung aus Abusir aus der 5. Dynastie erhalten ist [ 4 ]. Eine Person erbohrt eine Steinvase. Die Drehbewegung der Triebstange erfolgt durch die Hand, die die angehängten Gewichte betätigt. Diese Gewichte sind eine ideale Hilfe für einem flotten und gleichmäßigen Antrieb und tragen weniger dazu bei, einen "Bohrpressdruck" zu erzeugen [ 5 ].

Eine ganze Reihe von praktischen Versuchen zur altägyptischen und mesopotamischen Steinbearbeitung, darunter hauptsächlich die Kernbohrung, hat Denys Stocks vom Department of Archaeology der University of Manchester in den vergangenen Jahren unternommen. Seine Versuchsaufbauten entsprechen durchgehend altägyptischen Darstellungen und Möglichkeiten [ 6 ]. Neben Kernbohrungen hat Stocks auch stets die Sägemethoden getestet, auf die hier nicht weiter eingegangen wird. Die Herstellung der Kupferrohre erfolgte durch Lötung des Falzes [ 7 ]. Für den ersten Versuch wurde ein Rohr aus Kupfer und ein Rohr aus Bronze (10% Zinn) hergestellt, die jeweils 2,8 cm Durchmesser aufweisen (Stocks sieht in der Herstellung kleinerer Röhren größere Schwierigkeiten.). Beide Röhren steckte er auf einen runden Holzstab, der durch jeweils 1,2 m lange Bogen und 0,8 cm durchmessende Schnüre angetrieben wurden [ 8 ]. Die Länge der Schnüre wurde so gewählt, daß eine ganze Umdrehung des Bohrers ohne möglich wurde. Als Abrasiv wurde trockener Quarzsand gewählt, der aus 0,1 bis 1,3 mm großen Quarzkörnchen bestand. Dem frisch gewonnenen Quarzsand, den die alten Ägypter in Aswan gewonnen haben, werden außerordentlich scharfe Kanten attestiert [ 9 ]. Mit diesem Werkzeug wurde durch Stocks Rosengranit, blauer Granit, Granodiorit, harter und weicher Kalkstein, roter Sandstein und Alabaster (Kalzit) erbohrt. Die Bohrung wurde auf preparierten Oberflächen begonnen, die durch Hammer und Feuersteinmeisel vorbereitet wurden (diese Vorbereitung, so Stocks, ist an einer unfertigen Alabastervase der Petrie Collection nachweisbar, s.u.).

Struktur des Rosengranits in Vergrößerung. Die rote Farbe ist die Folge einer Oxidation der Eisenspuren im alkalischen Feldspat.
Trockener Sand, so Stocks, widerspricht nur der modernen Auffassung. Bei der altägyptischen Methode entsteht keine Werkzeug-gefährdende Hitze, die es - wie bei modernen Gerätschaften und höheren Drehzahlen - zu kühlen gelte. Stattdessen ergab trockener Quarzsand einen erheblich besseren Vortrieb, bzw. eine erheblich bessere abrasive Wirkung. Nasser Sand erbrachte lediglich, daß der Bohrer ohne Schleifwirkung über den Quarzsand hinwegrutschte, und zwar je kleiner die Quarzanteile durch den Bohrvorgang wurden. Außerdem ist er nur schwer aus dem Bohrloch zu entfernen. Eine Vase kann man zur Entfernung des Bohrmehls vielleicht noch umdrehen, aber ein größeres Werkstück, ein granitener Türrahmen oder ein Sarkophag z.B., kann nicht einfach mitten im Bohrvorgang durch Umstülpen entleert werden. An der Bohrkrone hat Stocks Temperaturen um 80-100 Grad gemessen. Das dürfte den guten Wärmeleitungseigenschaften des Kupfers zu verdanken sein. So wird die Hitze des Bohrkopfes bestmöglich nach außen hin abgeleitet. Stocks konnte bei seinen Experimenten exakt den Vorgang beobachten, den Hölscher nur theoretisch beschrieben hatte, nämlich daß sich die Quarzteilchen im weichen Kupfer festsetzen und so die eigentliche Bohrarbeit leisten. Stocks spricht dabei sogar von einem "key factor", der das Bohren mit Kupfer überhaupt erst ermöglicht! Andere Quarzteilchen, die nicht am abrasiven Prozess beteiligt sind, sind häufig kugelförmig. Sie ermöglichen es dem Arbeiter den Bohrer gegen die großen Widerstände zu drehen (das gilt wohl besonders dann, wenn das Schleifmittel allmählich in die seitliche Wandung zwischen Bohrer und Loch gerät.).

Nach Stocks ergaben sich abgerundet und unter Berücksichtigung der Härte des Gesteins und des Bohrers, der Umdrehungsgeschwindigkeit, der Beschaffenheit des Quarzsands und des Auflagegewichts folgende Daten [ 10 ]:

    1. Granit und Diorit zeigten einen Vortrieb von 2 cm3 pro Stunde
    2. Alabaster - am anderen Ende der Skala - zeigte einen Vortrieb von 30 cm3 pro Stunde (alle anderen Versuche lagen zwischen diesen beiden Ergebnissen.)

Bei weiteren Experimenten zur Erbohrung von Hartgesteinvasen hat Stocks herausgefunden, daß ein Druck von lediglich 1kg/cm2 die besten Resultate erbrachte [ 11 ]. Dabei hat sich weiterhin gezeigt, daß eine Bohrung in Rosengranit und/oder Diorit etwa 15 Mal mehr Zeit benötigt als identische Bohrungen in Kalkstein [ 12 ].

Im Verlauf der folgenden Experimente hat Stocks mit Feuerstein auch Granit, Quarzit, Basalt und Grauwacke bearbeitet [ 13 ]. Damit, so Stocks, wurden sowohl die Hieroglyphen als auch die Palastfassaden in Hartstein der 4. Dynastie erzeugt. Um ein Kubikzentimeter Granit zu bohren, benötigte er diesmal 250g Quarzsand [ 14 ].


Bohrung in Rosengranit für eine Türangel im Pyramidenkomplex der Königinnen von Pepi II. in Sakkara-Süd.
Ganz aktuell und noch völlig unbekannt sind die neuesten Arbeiten von Stocks, die er direkt in Assuan am dortigen Rosengranit und erstmals von ägyptischen Arbeitern ausführen ließ [ 15 ]. Die Werkzeuge wurden wiederum direkt nach altägyptischer Methode her- und zusammengestellt. Getestet wurden Säge- und Bohrvorgänge. Letzteres wurde durch einen 8 cm durchmessenden Kupferbohrer und einen entsprechenden Bogen fabriziert. Gebohrt wurde erneut mit Quarzsand. Selbst der Stein, der als Gewicht oben am Bohrer agieren sollte, wurde nach altägyptischen Methoden gewonnen und bearbeitet [ 16 ]. Vor der Bohrung wurde ebenfalls die Oberfläche des zu bohrenden Rosengranitblocks mit Dolerithämmern geglättet. Um eine Fassung für die Bohrkrone vorzubereiten, wurde mit Hammer und Feuerstein ein Kreis herausgehämmert, der vorher mit der Bohrkrone und etwas Ocker auf dem Werkstück "aufgezeichnet"/aufgedrückt wurde. Damit wurde gewissermaßen eine Fassung geschaffen, in welcher der Bohrer stabil eingesetzt werden konnte, um den Bohrvorgang zu beginnen. Nachdem der Bohrer abwechselnd im und gegen der Uhrzeigersinn "getwistet" wurde, und nachdem er so 5 mm tief in das Gestein vorgedrungen war, konnte die Bohrung erfolgen, ohne daß das Kupferrohr aus dem Werkstück sprang. Praktische Experimente haben gezeigt, daß diese 5 mmm tatsächlich das größte Problem darstellen [ 17 ] und man wird wohl davon ausgehen müssen, daß die von Stocks beschriebene Vorbereitung jeder Kernbohrung als Standardprozedur vorausgegangen ist.

Drei ägyptische Arbeiter waren für den Bohrvorgang notwendig. Einer auf jeder Seite des Bogens und einer um den Stein als Gewicht auf dem Bohrer zu halten. Die Schnur des Bogens wurde so gewählt, daß ein Durchgang des Bogens zwei Umdrehungen des Bohrers verursachte. Die 8 cm messende Kupferröhre hatte 1 mm starke Lippen und arbeitete am besten mit einem aufgeladenen Gesamtgewicht von 2,5 kg. Eine Erhöhung der Gewichte verursachte eine Verschlechterung des Vortriebs! Wodurch diese Verschlechterung bedingt ist, hat Stocks leider nicht näher ausgeführt, jedoch kann man sich vorstellen, daß die Gleichmäßigkeit des Antriebs darunter leidet.

Der durchschnittliche Arbeitsgang ermöglichte 120 Umdrehungen des Kupferrohres pro Minute [ 18 ]. Auch diesmal zeigte sich, daß die Verwendung trockenen Sandes wesentlich effektiver war [ 19 ]. Die Drehbewegung der Außenseiten der Kupferröhre erzeugte das typische Bild eines konischen Loches und eines konischen Kerns, der oben breiter und nach unten hin fortschreitend schmäler wird. Der Kern konnte als ganzes Stück mit Hilfe sich verjüngender "Skalpelle" herausgebrochen werden. Das Ergebnis war eine Kernbohrung, wie man sie aus dem Alten Ägypten kennt. Das betrifft besonders die horizontalen Rillen, die sowohl am Kern als auch im Loch mit diesem Experiment entstanden sind [ 20 ].

Stocks schätzt, daß die Arbeiten von erfahrenen altägyptischen Arbeitern sogar in der Hälfte der Zeit durchgeführt werden konnten [ 21 ]. Kein Werkzeug ging während der Bohrung kaputt oder mußte provisorisch repariert werden. Lediglich der Bogen mußte nach 18 Stunden neu gespannt werden. Insgesamt wurden für ein 6 cm tiefes Loch 20 Stunden benötigt [ 22 ]. Dabei verlor die Kupferröhre durch Abnutzung 9 cm an Länge, was 22,4 cm3 oder 200g ausmacht. Dafür wurden 104 cm3 oder 280g Stein erbohrt. Die 120 Umdrehungen/min erbrachten 5,2 cm3 Vortrieb/h [ 23 ].

Dieses Experiment wurde - wie gesagt - durch drei Arbeiter durchgeführt, die keinerlei weitere Hilfsmittel verwendet haben [ 24 ]. Arnold nimmt dagegen zusätzliche "maschinenartige Einrichtungen" an [ 25 ]. In der Tat wird man sich gerade für die Massenproduktion, sagen wir beispielsweise für die Abaki eines Pyramidentempels, Holzgestelle vorstellen können, die dem Bohrer eine exakte Führung bieten. Ob damit die Vorbarbeiten mit dem Feuerstein wegfallen, sei dahingestellt. Daß dies jedoch einen Vorteil bringt, kann man auch an einer einfachen Bohrmaschine feststellen. Ein tragbares Holzgestellt läßt sich leicht in kurzer Zeit über alle Werkstücke plazieren.

Anmerkungen

[ 1 ] dafür generell Stocks.
[ 2 ] Gassmann in: Sasse&Haase, Im Schatten der Pyramiden, S. 218.
[ 3 ] Haase, Feld der Tränen, S. 193-196, schließt sich inzwischen wohl weitgehend der ägyptologischen Lösung an, fordert aber noch immer - wie in allen vorhergehenden Schriften dazu - eine "experimentelle Bestätigung der genauen Konstruktionsweisen und effizienten Handhabungen der alten Werkzeuge". Diese gibt es in Gestalt der Arbeiten von Denys Stocks schon seit 1986 in beinahe regelmäßig erscheinenden Veröffentlichungen! Praktische Versuche mit Feuerstein hat Zuber, Techniques du travail, bereits 1956 vorgenommen. Man kann noch nicht einmal konstantieren, daß die modernen Befürworter der Edelsteinlösung diese praktischen Versuche wenigstens theoretisch verwerfen, da sie diese gar nicht erwähnen!
[ 4 ] Clarke & Engelbach, S. 203, Fig. 246.
[ 5 ] weitere Darstellungen von Bohrungen mit Quellennachweis bei Stocks, Making Stone Vessels, S. 598.
[ 6 ] Stocks, Sticks and Stones, S. 25.
[ 7 ] ibd., S. 25.
[ 8 ] ibd., S. 27.
[ 9 ] Klemm&Klemm, Steine, S. 324.
[ 10 ] Stocks, op.cit., S. 29.
[ 11 ] Stocks, Making Stone Vessels, S. 600.
[ 12 ] ibd.
[ 13 ] Stocks, Stone sarcophagus manufacture, S. 918.
[ 14 ] ibd., S. 921.
[ 15 ] Stocks, Testing ancient Egyptian granite-working, S. 89. Die Experimente wurden von NOVA unter Mitwirkung von Mark Lehner aufgezeichnet und im amerikanischen Fernsehen gesendet.
[ 16 ] ibd., S. 92.
[ 17 ] Eigene Versuche hat auch mein Freund und Kollege Frank Dörnenburg durchgeführt, wobei just dieses Problem auftrat!
[ 18 ] Stocks, op.cit., S. 92f.
[ 19 ] ibd., S. 93.
[ 20 ] ibd.
[ 21 ] ibd., S. 94.
[ 22 ] Angaben nach Stocks, S. 92, Tabelle 2.
[ 23 ] Arnold, Building, S. 265, berichtet von Versuchen durch Gorelick und Gwinnet, die Stocks Ergebnissen bezüglich der Rillenentstehung durch Quarzsand widersprechen. Besonders die jüngsten Arbeiten von Stocks räumen jedoch jeden Zweifel aus dem Weg, nach dem Quarzsand keine Rillen ergeben sollte, was ja schon vom ganzen Vorgang her gar nicht möglich wäre!
[ 24 ] Stocks, op,cit., S. 91, Fig. 2.
[ 25 ] Arnold, Lexikon, S. 43.

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