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Kernbohrungen im Alten Ägypten I

Allgemein

Modernes Kernbohrungsgerät mit Widia-Krone
Im Alten Ägypten, so wird oft vermutet, gab es Techniken, die uns erst heute wieder zur Verfügung stehen. Dabei wird nicht nur an den Transport großer Steine und die tadellose Bearbeitung der härtesten Gesteinsarten gedacht, sondern man meint damit im besonderen "Kernbohrungen". Diese werden so genannt, weil die Bohrung eines kreisrunden Lochs mit einem Rohr einen Kern in der Mitte beläßt. Kernbohrungen werden heute üblicherweise mit Widia-Bohrern (Widia = (hart) wie Diamant, Mohshärte = 9) durchgeführt, die z.B. - wie in nebenstehender Abbildung - bei Stahlbeton zum Einsatz kommen. Das Gerät ist häufig eine etwas größere Bohrmaschine in einem Gestell, das per Saugnoppen am Boden befestigt wird, oder es ist nicht selten gar nur eine Handbohrmaschine [ 1 ]. Für anspruchsvollere Bohrungen, z.B. dort wo Vibrationen vermieden werden müssen, werden hingegen Bohrköpfe mit echten Diamanten verwendet.

Solche Kernbohrungen gab es ebenfalls in Ägypten. Sie sind zahlreich in Hartsteingefäßen, Keulenköpfen und im Alten Reich in der Bautechnik, i.d.R. als Verankerungslöcher im Türrahmen (Durchgänge wurden im Alten Reich vorzugsweise in Hartgestein erstellt) und ganz früh in Perlen und Gefäßen. Diese Bohrungen befinden sich in allen Arten von Gestein, sowohl in den weicheren (z.B. Alabaster, Kalkstein) als auch in den härteren (z.B. Granit, Basalt). Im Mittleren Reich und mit der Einführung der etwas härteren Bronze [ 2 ] werden Kernbohrungen in der Bautechnik selten.

Die Erfindung des Kupferbohrers im Alten Ägypten, im wesentlichen so wie er von der 5. bis zur 26. Dynastie in Darstellungen und Hieroglyphen zu sehen ist, geht auf die Negade II-Zeit zurück (ab etwa 3500 v.Chr.). Anlaß dürfte die Herstellung von Gefäßen gewesen sein. Die ursprüngliche Erfindung wurde später nur noch in Details verbessert und abgeändert [ 3 ].

Die Ägypter kannten zwei unterschiedliche Ausführungen von Bohrern [ 4 ]:

  1. Der snht- oder hmt-Bohrer, ein Kurbelbohrer, der in der Steinbearbeitung eingesetzt wurde. Seine Hieroglyphe wurde zur allgemeinen Bezeichnung für "Handwerk" (hmt). Nach der überzeugenden Begründung von Baines [ 5 ] geschah das wohl dadurch, daß das Erbohren von Steinvasen in früher Zeit eine oder sogar die primäre handwerklich/künstlerische Aufgabe war. Er besteht aus einer Triebstange, einer Kurbel und oben angehängten Gewichten. Einmal konnte die Triebstange unten ein Kupferrohr aufweisen, das unter Zugabe eines Abrasivs die Bohrarbeit verrichtete. Schließlich konnte die Triebstange unten auch eine Gabel aufweisen, die zur Aufnahme von Steinbohrern diente. Solche Steinbohrer, z.B. aus Diorit, hat man u.a. in Hierakonpolis gefunden [ 6 ]. Neuere Experimente und Beobachtungen haben gezeigt, daß auch dem Steinbohrer Quarzsand als abrasives Material beigegeben wurde. Die Halterung für diese Steinbohrer ist in die Hieroglyphe des Bohrgeräts eingegangen. Darstellungen eines Bohrers aus dem Grab des Hc-bcw-Skr aus der 4. Dynastie zeigen, daß die Kurbel mit beiden Händen gefaßt werden mußte [ 7 ].

  2. Der htjt-Bohrer, ein Drill- oder Fidelbohrer, der in der Tischlerei und bei der Herstellung von Perlen (auch aus Hartgestein) benutzt wurde [ 8 ].

Schreibungen rund um das Bohren.

Die Ägyptologie erklärt die Löcher in hartem Gestein seit rund 100 Jahren durch die Verwendung von Kupferrohren mit Quarzsand als Schleifmittel [ 9 ]. Die Schreibung von hmwt, "Schleifsand", erfolgt mit der Hieroglyphe des Bohrers [ 10 ]! Was die Bohrlöcher in Bauten betrifft, haben andere Forscher in ihnen Analogien zu modernen Kernbohrungen sehen wollen [ 11 ]. Die Erklärung der Ägyptologen wird von ihnen verworfen, ja als unmöglich angesehen [ 12 ]. Alternativ sollte demnach der Befund der Bohrungen mit Diamanten, bzw. Edelstein oder Korund-besetzten Bohrschneidern erklärt werden [ 13 ].

Hier soll jetzt also der Frage nachgegangen werden, welche Lösung der Befund nahelegt. Der Befund ist gut dokumentiert, ausführlich besprochen und vor Ort ziemlich einfach nachprüfbar. Er wird nur durch das (fast) völlige Fehlen jedes Bohrwerkzeugs getrübt. Nach Ansicht Stocks' wurden die sicher unansehnlichen und degenerierten Stumpen postwendend verschrottet [ 14 ]. Kernbohrungen gibt es in fast allen Tempelanlagen des Alten Reiches, gelegentlich im Mittleren Reich und in Tempelanlagen, die nachweislich aus Steinen des Alten Reiches bestehen, z.B. in Bubastis und Tanis [ 15 ]. Kernbohrungen gibt es vor allen Dingen aber auch als alltägliches Mittel zur Bearbeitung der härtesten Gesteinsarten, die nicht direkt eine Bohrung als Ziel haben. Da ist z.B. der Sarkophag aus Rosengranit in der Königskammer der Cheopspyramide [ 16 ]. Petrie konnte noch die seitlichen Vertiefungen des Bohrers sehen, die heute schon 'abgegriffen' sind [ 17 ]. Stocks konnte den Durchmesser des dort verwendeten Bohreres auf 12,7 cm bestimmen [ 18 ]. Ein anderes herausragendes Beispiel ist die berühmte Statue des Königs Chephren im Ägyptischen Museum Kairo, die aus Diorit besteht, der eher zu den härteren Gesteinen zählt. Zwischen den Beinen des Königs sind noch heute überdeutlich die Spuren der Kernbohrung zu erkennen, die für die groben Abarbeitungen verwendet wurden [ 19 ]. Man findet Kernbohrungen auch als Halterung für Türbolzen oder als "Gucklöcher". Kernbohrungen wurden in großem Maßstab auch zur Freilegung großer Steine in Steinbrüchen verwendet. Eine solche Bohrung beschrieb Flinders Petrie bereits 1883 [ 20 ]:

    "At El Bersheh there is a still larger example, where a platform of limestone rock has been dressed down, by cutting it away with tube drills about 18 inches (45 cm!, Anm. RL) diameter; the circular grooves occasionally intersecting, prove that it was done merely to remove the rock."

Relativ große Bohrung in einem Block aus Rosengranit in Tanis.
Die ursprünglichste und häufigste Anwendung der Kernbohrungstechnik war jedoch zweifelsfrei die Herstellung von Hartsteingefäßen. Der Befund der Löcher entspricht den Bohrungen in Architekturteilen [ 21 ]. In beiden Fällen wurden abrasive Methoden und identische Werkzeuge und Materialien verwendet [ 22 ]. Aus diesem Umstand ist zunächst sicher zu erkennen, daß Kernbohrungen in Ägypten in sehr hoher Zahl und seit frühester Zeit durchgeführt wurden [ 23 ]. Es gab somit ein gesundes Maß an Routine, so daß wir mit einer sehr gut ausgebildeten und erfahrenen Gilde an Bohrfachkräften zu rechnen haben.

Bohrungen in Hartgestein gibt es in Ägypten und im Sudan bereits im Neolithikum. Anfänglich wurden diese unter Verwendung von Feuerstein erzeugt und dienten z.B. zur Herstellung von Keulenköpfen [ 24 ]. Mit Feuerstein, der die Mohshärte 7 aufweist, können härteste Gesteine problemlos bearbeitet werden [ 25 ]. In der 3. Dynastie halten Kernbohrungen in die Architektur Einzug. In Sakkara [ 26 ] und Meidum [ 27 ] fanden sich Bohrungen in weichem Gestein in beträchtlicher Zahl ohne erkennbaren Sinn [ 28 ]. Mit der 4. Dynastie und der gewaltigen Architektur dieser Zeit erwachsen neuartige Anforderungen an die Statik im Tempelbau. Im Taltempel des Chephren trifft man erstmals auf eine Dübeltechnik, die Pfeiler und Architrave mit bis zu 25 kg schweren Kupferdübeln mit Schwalbenschwänzen verbindet, die in entsprechende Löcher mit einer Tiefe von 8 cm gezapft wurden [ 29 ]. Hölschers Zeichnung eines Pfeilers ist so genau, daß man noch die Bruchstelle des Kerns sehen kann, so daß damit feststeht, daß die Bohrung mit der zu besprechenden Methode durchgeführt wurde [ 30 ]. Auch die übliche Anwendung der Kernbohrung in Türkonstruktionen ist erstmals bei Chephren nachweisbar. Sie erfolgte entweder mit Steinbohrern, was durch das rundliche Loch leicht zu ersehen ist, oder durch die hier zu besprechende Methode mit Kupferrohren [ 31 ]. Im weiteren Verlauf trifft man Kernbohrungen in den Tempelanlagen der Pyramiden bis zum Ende der 6. Dynastie regelmäßig mit diesem Verwendungszweck an.


Alternative Erklärungen

Die alternativen Deutungen ägyptischer Kernbohrungstechnik gehen prinzipiell auf Flinders Petrie zurück. Erstmals beschrieb er sie in seinem berühmten Buch über die Pyramiden von Giza. Seine Schlußfolgerung, daß die Spuren in den Bohrlöchern an Diamantbohrer erinnern, führte er nicht zu Ende, da der Befund in Sachen Edelsteine dafür keine Wahrscheinlichkeit erbrachte [ 32 ]. Alternativ hat er daraus abgeleitet, daß es der Korund sein müsse, der als fixiertes Schneidematerial auf bronzenen(!) Bohrköpfen saß. Noch Jahre später, als Petrie sich mit den Kernbohrungen in seinem wegweisenden Buch über altägyptische Werkzeuge und Waffen auseinandersetzte, konnte er sich zu keiner Entscheidung durchringen [ 33 ]. Petrie hat im Lauf der Jahre mehrmals widersprüchliche Stellungnahmen abgegeben [ 34 ]. Im letzten Statement, das mir von ihm dazu bekannt ist [ 35 ], hat er allein noch dem Diamanten die Möglichkeiten eingeräumt.

Erstmals seit Petrie wurde eine alternative Erklärung im Sinne von mit Diamanten besetzten Bohrern wieder von Horst-Detlef Gassmann aufgegriffen, der für einen international tätigen Konzern arbeitet, der für die Herstellung von Bohrwerkzeugen bekannt ist [ 36 ]. Die Argumentation des Experimentalphysikers folgt weitgehend der Petries, allerdings ohne Korund, sondern allein mit Diamanten [ 37 ]: "Vor allen Dingen kann ich mir nicht vorstellen, daß man dann solche Rillen sieht. Mit Polierpulver feinster Art kann das nicht funktionieren. Granit ist quarzhaltig. Einen derartigen Stein kann man nicht mit Quarz bohren, denn beide sind gleich hart. Das kann kein Loch geben! Jedenfalls nicht in der Ausführung, wie wir sie in Ägypten sehen. Mit einem Kupferrohr und etwas Schneidematerial allein war das unmöglich zu schaffen."

Gassmann schreibt weiterhin, daß die Ägypter das Bearbeitungsverfahren ihrer Löcher geheimgehalten hätten [ 38 ]. Das ist allerdings völlig abwegig und durch nichts zu begründen. Ägyptisches Handwerk ist ein Hauptmotiv der Reliefs besonders in Gräbern ab der 5. Dynastie [ 39 ]. Alle Bearbeitungsarten von Gestein sind auf diese Weise überliefert, darunter auch Darstellungen des Kernbohrungsverfahrens.

Moderne Bohrung mit Widia-Krone und abgemasertem, praktisch glattem Kern ohne jede Rille.
Sämtliche alternativen Lösungsvorschläge verzichten auf eine Besprechung des Befundes. Gassmann stellt lediglich fest [ 40 ]: "Das gleiche Rillenmuster ergibt sich nämlich ebenfalls auf einem Bohrkern, der mit einer modernen Diamant-Kernbohrmaschine erbohrt wurde." Leider verzichtet Gassmann gänzlich auf eine Besprechung sowohl der ägyptischen als auch der modernen Rillenmuster. Eine Widia-Bohrung erzeugt überhaupt keine Rillenmuster. Der Kern ist von oben bis unten erstaunlich eben und höchstens mit einigen kaum wahrnehmbaren Maserungen versehen. Der Rest ist durch die Abmehlung geglättet. Auch die Abbildungen moderner Diamantbohrungen, die Gassmann selbst vorlegt [ 41 ], lassen jedenfalls aus dieser Perspektive keine Rillen erkennen, die irgendwie an die ägyptischen Rillen mit ihrer deutlichen Ausprägung erinnern könnten. Stattdessen findet sich dort die von Widia-Bohrungen bekannten Maserungen. Allerdings spricht Gassmann eindeutig von Rillen und für diese verweist er [ 42 ] ohne weitere Erklärung über deren Beschaffenheit auf eine Besprechung Petries, wo es heißt [ 43 ]: "...part of a side of a drill-hole in diorite, from Gizeh, remarkable for the depth and regularity of the grooves in it." Die Gleichsetzung der Charakteristika der Rillen mit modernen Kernbohrungen ist nicht nachvollziehbar. Zur Klärung dieser Fragen muß also zunächst der Befund durchleuchtet werden.

Anmerkungen

[ 1 ] vgl. Gassmann, Geschichtliche Entwicklung.
[ 2 ] vgl. Stocks, Sticks and Stones, S. 25; s.u.
[ 3 ] Stocks, Stone Vessels, S. 750.
[ 4 ] Unterscheidung weitgehend nach Drenkhahn, Bohrer, Sp. 845f.
[ 5 ] Baines, Status and Purposes, S. 72; 90 Anm. 5.
[ 6 ] Quibell & Green, Hierakonpolis II, S. 17f., Pl. LXII. Hier wurde übrigens zweifelsfrei das Haus eines Handwerkers entdeckt, der beruflich Bohrungen ausgeführt hat!
[ 7 ] so Borchardt, Hieroglyphe, S. 107 mit Abbildung.
[ 8 ] dazu bes. Stocks, Ancient Factory Mass-production Techniques.
[ 9 ] z.B. Lauer, Histoire monumentale, S. 234-236; Arnold, Lexikon, Stichwort: "Bohrer, Säge, Steinbearbeitung", S. 42f.
[ 10 ] Hannig, Sprache der Pharaonen, S. 530.
[ 11 ] z.B. Haase, Spurensuche, S. 13; Gassmann in: Sasse&Haase, Im Schatten der Pyramiden, S. 218.
[ 12 ] ibd.
[ 13 ] Für Korund, Diamant, Rubin oder Saphir zuletzt Haase, Rätsel des Cheops, S. 160-163.
[ 14 ] Stocks, Making Stone Vessels, S. 598.
[ 15 ] vgl. Arnold, Hypostyle Halls.
[ 16 ] Zur Herstellung von Steinsarkophagen jetzt ein für allemal Stocks, Stone Sarcophagus manufacture.
[ 17 ] Petrie, Pyramids and Temples, S. 77.
[ 18 ] Stocks, Sticks and Stones, S. 25.
[ 19 ] Hinweis schon bei Hölscher, Chephren, S. 79; Clarke & Engelbach, S. 202.
[ 20 ] Petrie, op.cit., S. 77.
[ 21 ] Dazu bes. Lucas&Harris, Ancient Egyptian Materials, S. 406-428.
[ 22 ] vgl. Stocks, Making Stone Vessels, S. 596f. Das gilt ebenfalls für den Befund in Mesopotamien - die Methoden waren identisch!
[ 23 ] beispielsweise ein Gefäß aus Syenit aus der Zeit des Chasechmui, Quibell, Hierakonpolis I, Pl. XXXVI; vgl. auch Klemm&Klemm, Steine, S. 320f.
[ 24 ] Stocks, Stone Vessels, S. 749; für ein schönes Beispiel eines Keulenkopfes aus dem Neolithikum vgl. z.B. Wildung et.al.: Sudan - Antike Königreiche am Nil. München 1996, S. 28f., Kat.-Nr. 19.
[ 25 ] Aston et.al., Stone, S. 28. Zuber, Techniques du ravail, hat in 36 Stunden allein mit Feuerstein einen Granitkopf herausgearbeitet!
[ 26 ] z.B. Firth, Step Pyramid, S. 124ff., Pl. 93.
[ 27 ] Petrie, Medum, S. 35, Pl. XXXI; ders. Meydum and Memphis III, Pl. XX.
[ 28 ] vgl. Arnold, Building, S. 266.
[ 29 ] Hölscher, Chephren, S. 43 m. Abb. 26; vgl. auch Arnold, Lexikon, S. 70; ders., Building, S. 124f.
[ 30 ] ibd.
[ 31 ] ibd., S. 45 m. Abb. 29-30. Auch hier sind noch die Bruchstellen des Kerns eingezeichnet!
[ 32 ] Petrie, Pyramids and Temples, S. 74.
[ 33 ] Petrie, Tools and Weapons, S. 44-45.
[ 34 ] Dazu Lucas & Harris, S. 70.
[ 35 ] Petrie, Egyptian Architecture, S. 32.
[ 36 ] Gassmann, op.cit., bes. S. 8-9.
[ 37 ] Zitat aus: Sasse & Haase, S. 218 von Horst-Detlef Gassmann.
[ 38 ] Gassmann, op.cit., S. 8.
[ 39 ] Valbelle, Handwerker, S. 51, 56.
[ 40 ] Sasse&Haase, op.cit., S. 218; so ebenfalls bei Gassmann, op.cit., S. 8.
[ 41 ] ibd., S. 9, Abb. 5; Sasse&Haase, op.cit., S. 219.
[ 42 ] Gassmann, op.cit., S. 8.
[ 43 ] Petrie, Pyramids and Temples, S. 77.

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